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Re: [ox] GPL-Gesellschaft - Linux - Ware - Produktionsmittel



Hallo Benedikt,

am Mon, 03 Apr 2000 schriebst du:

[snip]
Als Mensch des Informationszeitalters kann ich nicht arbeiten,
ja schon fast nicht mehr leben, ohne täglich, stündlich, minütlich
Software und Standarts wie Linux aber auch TCP/IP, SMTP usw
zu verwenden. Sie sind für mich das, was früher für den Bauern
der Boden war.
[snip]
Es ist ja zum Beispiel auch unter Linux-Fans nicht verpönt, für 
Arbeit Geld zu nehmen, auch nicht für Programmierarbeiten.
Sehr wohl verpönt aber ist der Versuch Standards,
Programmierschnittstellen
usw. zu privatisieren oder privat zu halten. Man denke nur an die
Debatten um das nicht GPL-de Qt Toolkit von KDE.
Dieser Gesichtspunkt wird übrigens auch ganz explizit in den sogenannten
Halloween-Dokumenten von Microsoft vertreten. (Commodity-Standarts).
[snip]

In der Beschreibung wuerde ich dir durchaus zustimmen. Was folgt aber daraus? 

Im Gegensatz zu den Selbstversorger-Bauern des Mittelalters koennen heutige
ProgrammiererInnen das Produkt ihrer Arbeit auf dem Boden von "Software und
Standards" nicht unmittelbar selbst essen, sondern muessen es, wenn sie denn
davon leben wollen, auf dem Markt an andere verkaufen. Eine passendere Analogie
waere also der kapitalistische Bauer, der fuer den Markt produziert und
logischerweise nicht einsieht, warum irgendein adliger Grundbesitzer, der keine
Arbeit investiert hat (eigene oder eingekaufte), etwas vom Ertrag abhaben
will. Das ist fast idealtypisch der Standpunkt der Bourgeoisie gegen den
Feudalismus, der sich auch vor Marx in der Entwicklung der oekonomischen
Theorie widerspiegelte: Waehrend die Physiokraten noch davon ausgegangen
waren, dass allein der Boden produktiv sei, sahen die buergerlichen
politischen Oekonomen um Smith und Ricardo allein die Arbeit als wertschaffend.

Genausowenig wie der buergerliche Standpunkt gegen den Feudalismus theoretisch
oder praktisch "falsch" war, ist es heute "falsch", wenn ProgrammiererInnen die
Monopol-Praktiken von Microsoft kritisieren und dabei den Standpunkt der
produktiven Arbeit vertreten. Ich halte allerdings die Trennung zwischen
Programmierarbeiten, fuer die man privat Geld kassieren kann, und welchen, die
nicht privatisiert werden duerfen (Standards und Schnittstellen) fuer ziemlich
schwer durchzuhalten: die meisten heutigen Standards haben als ganz normale
Programmierauftraege angefangen und sind irgendwann de-facto-Standards
geworden. Das ist fuer kleine ProgrammiererInnen, die nicht die Wahl haben,
sondern sich an die Standards halten muessen, natuerlich bitter, aber trotzdem
isses so. 

Mein Problem ist aber ein anderes: Ich sehe nicht, was dieser Konflikt zwischen
Konzernen und kleinen Programmierern _unmittelbar_ mit einer Ueberwindung des  
Kapitalismus (oder mit dem Aussterben der Arbeit - aber dazu ein andermal mehr)
zu tun hat. Ich glaube - wie jemand (sorry, ich weiss nicht mehr, wer und wo)
auf dieser Liste gerade schrieb -, die Lebensweise von GNU-ProgrammiererInnnen
laesst sich nicht ohne weiteres zur befreiten Gesellschaft verallgemeinern.
Sicher gehoeren auch die Entwicklungen im Computerbereich zur Entwicklung
unserer technischen und sozialen Faehigkeiten als Grundlage der Emanzipation
der Menschheit; aber die heutige Computerei ist m.E. mindestens ebensosehr Teil
des Problems wie Teil der Loesung ...

In Wirklichkeit sind die (auch von mir oben) idealisierten kleinen
ProgrammiererInnen im uebrigen gar nicht so allein, sondern sie haben einen
Teil des grossen Kapitals auf ihrer Seite, der selbst stark an offenen, d.h.
nicht privatisierten Standards interessiert ist (genau wie an oeffentlichen
Strassen, Schulen, Militaer usw.): Viele Banken weigern sich z.B. aus Prinzip,
Software einzusetzen, deren Sourcecode sie nicht kennen - und das hat bei denen
nix mit Kapitalismuskritik zu tun.

Soviel erstmal

Phil

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http://www.oekonux.de/



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