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Thread: oxdeT02187 Message: 20/23 L7 [In index]
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Re: [ox] Re: Kooperation 2



Hi Johannes,

ich möchte zuerst nochmal betonen, wie tastend meine Überlegungen zu
lesen sind. Wir haben halt nicht die vertrauensvollen Strukturen, von
denen ich schreiben werde, als dass ich nicht auch befürchte, dass mir
nicht mal "einer reingewürgt wird". Damit meine ich nicht dich oder die
Liste, sondern die Tatache, dass diese öffentlich ist.

Johannes Stockmeier schrieb:
Prinzip dieser anderen Vergesellschaftung ist ziemlich einfach: Ich
setze mit meinem individuellem Interesse gleichzeitig die
Allgemeininteressen durch. Das geht deswegen, weil strukturell es eben
genau umgekehrt zur Verwertungslogik läuft: Wenn die anderen sich
entfalten - und coole Software und Zeugs drumherum produzieren - ist das
genau in meinem Interesse, denn ich kann deren Produkte ja nutzen. Statt
Knappheits- ein Reichtumsparadigma. Damit sind viele Handlungen
entlastet: Von meinem Tun hängt nicht mehr meine Durchsetzung ab, das
heisst, ich handle nicht mehr (sachlich) gezwungen, sondern nach meinem
Gusto - anders geht Selbstentfaltung auch nicht. Ich kann entspannt im
Besten Sinne "tun und lassen, was ich will" - und das ist tendenziell ok
für alle.

Die Voraussetzung dafür, daß es funktioniert ist allgemeine Kompetenz. Weil
ich weis worum es geht, weil ich weis was die anderen machen, weis ich auch,
daß sie niemals gegen mein Interesse handeln. Wir ziehen an einem Strang,
arbeiten an einem Projekt, so ist das Heute ja partitiell schon in der
Teamarbeit verwirklicht -natürlich unter insgesamt entfremdeten Bedingungen,
aber daß eine Selbstorganisation überhaupt möglich ist, setzt voraus, daß
die Teammitglieder über die Erfordernisse des Arbeitsprozesses ungefähr
Bescheid wissen. Nun geht das innerhalb einer Automobilfabrik und innerhalb
der freien Softwareszene, was ist aber, wenn die Automobilisten software
benötigen und die FSler Autos? Wie geht da der Austausch vonstatten; ist es
realistisch anzunehmen, daß das Grundvertrauen von dem Du sprichst
sich auch auf die Bereiche des Nichtwissens, des Nichteinschätzenkönnens
erstrecken wird?

Nur so geht es. Das entlastende "abstrakte" besteht darin, dass du
gerade nicht überall mitreden musst, sondern dass es Leute gibt, deren
Ding es ist, genau das zu regeln (meintwegen die Logistik). "Vertrauen"
ist also keine interpersonale Erscheinung (wie heute bestenfalls),
sondern im Gegenteil: Vertrauen ist ein von konkreten Personen
unabhängiges "strukturelles Vertrauen". Bewege ich mich in einem
"Medium" der strukturellen Übereinstimmung individueller und allgemeiner
Interessen, muss ich nicht alles wissen. Teil des strukturellen
Vertrauens ist aber sicher, dass ich alles wissen _kann_, um ggf.
interventionsfähig zu sein. Auch hier wird nochmal die Bedeutung frei
verfügbaren Wissens deutlich (das nur am Rande).

Sosehr ich Dir zustimme in der Hinsicht, daß man nicht aus dem heutigen
allgemeinen Fetischbewußtsein heraus eine zukünftige Gesellschaft
konstruieren kann, so interessiert mich doch auch die Frage, wie wir uns aus
dem heutigen Zustand heraus bewegen. Und da sieht es doch so aus, als wenn
das Vertrauen gerade daraus erwächst, DASS wir eben sehen.

Ja, das ist heute notwendig so, es ist immer ein auf-der-Hut-sein, ob
nicht wer die eigenen Interessen verletzt. Das macht es aber sehr
stressig und unattraktiv. Wir hatten eine ähnliche Diskussion beim
letzten Treffen des Krisiskreises Rheinland: Warum sind
Alternativprojekte unattraktiv?

Ich äußerte folgende Hypothese: Unter bürgerlichen Fetischbedingungen
wird nicht nur Soziales verdinglicht, sondern umgekehrt wird auch
Strukturelles personalisiert (wenn man genau hinguckt ein ähnlicher
Prozess). Die beliebte Suche nach dem "Schuldigen" ist ein solches
Beispiel. Verhältnisse scheinen nur kontrollierbar, wenn man Personen
unter Kontrolle hat (ob in der Familie, im Betrieb oder in der linken
Initiative). Die regelmäßige Erfahrung ist: es geht meist schief oder
ist wackelig (hier gewinnen die verschiedenen Fetischformen ihre
Funktionalität als "Ersatzstabilitäten": Ehe z.b.). 

Diese subjektive Funktionalität ist dabei nicht bloss eingebildet,
sondern eine Anpassung an die Formen der Wertvergesellschaftung bedeutet
_real_ ein gewisses, wenn auch stets bedrohtes Mass an Stabilität. Unter
Bedingungen des "sich auf Kosten anderer Durchsetzens" (gegensätzliche
Partialinteressen), bieten die Fetische - gerade weil sie verdingliche
soziale Verhältnisse repräsentieren - eine höhere Verlässlichkeit als
Personen oder soziale Beziehungen. Es gibt als ein Haufen "guter Gründe"
sich im Fetischmedium zu bewegen wie ein Fisch im Glas, der im Kreise
schwimmt und nie an den Rand des Glases stösst und sich daher in einem
grenzenlosen Ozean wähnt.

Wenn ich da nun "raus" gehe (geht ja nur partiell), dann werde ich auf
personale und soziale Bedingungen zurückgeworfen. Hier hängt nun alles
vom guten Funktionieren der Gruppe, der unmittelbaren Kooperation, ab.
Und das ist wahrlich ein großes Risiko. Das erscheint vielen weniger
attraktiv (und stärker risikobesetzt) als die Stabilität der 
Fetischverhältnisse. Unmittelbar kooperative Verhältnisse haben eben
nicht den Grad an selbstreproduktiver Stabilität wie die
gesellschaftliche Kooperation gleich welcher Vergesellschaftungsform.

Wenn du jetzt schreibst "Und da sieht es doch so aus, als wenn das
Vertrauen gerade daraus erwächst, DASS wir eben sehen." - dann klingt
mir das genau nach der Angst, etwas nicht unter Kontrolle zu haben. Kann
ich völlig nachvollziehen. Aber der Weg der Totalkommunikation, um alles
zu sehen, ist nicht nur undenkbar, sondern eben bloss eine einfache
Negation (keine Aufhebung) der Jetztverhältnisse. Es ist IMHO primär
_kein_ Problem der blossen Größe wie du meinst:

Je
unübersichtlicher die Verhältnisse werden -und das wird auch in einer freien
Gesellschaft so sein-, umso mehr bedürfte es doch eines sehr formalen,
sehr abstrakten Mediums, daß auch diese Größen fassen kann. Und da stehen
wir natürlich wieder vor dem gleichen Problem, wie bei dem allgemeinen
Äquivalent.

Nein, stehen wir nicht. Es bedarf keines formalen, dinglichen,
verselbständigten Ersatzmediums, dass stellvertretend Sozialität
repräsentiert. Das wären wieder Fetischformen. Wir brauchen
verselbständigte, selbstreproduktive, interventionsfähige _soziale_
Strukturen, die eben diese Sozialität sind. So verstehe ich den Begriff
der "unmittelbaren Vergesellschaftung". Das ist eine merkwürdige
Konstruktion: Eine unmittelbare Vermittlung. Aber es macht Sinn: Je ich
beteilge mich unmittelbar an der sozialen Vermittlung, dies aber nicht
total, sondern immer nur in dem Ausschnitt von Gesellschaft, der je mir
zugekehrt ist.

Das ist was anderes als so diese "überschaubare" Kleingruppenidylle, in
jede/r "über alles bestimmen kann" (ha, welch Witz!). Die
gesellschaftliche Größenordnung braucht es aber, um stabil und
selbstreproduktiv zu sein. Was spricht dagegen, wenn Menschen nur mit
Infrastruktur beschäftigt sind? Wenn Menschen sich um Kommunikation
kümmern und andere um Kartoffeln? Und je darin aufgehen? Ich bin da voll
optimistisch, Menschen sind einfach so unterschiedlich...

Den ?dynamischen Kern³ einer neuen Vergesellschaftungsform hast Du als
Vertrauen beschrieben. Das ist beim Geld im Prinzip auch so.

Nein! Das ist was anderes. Das Vertrauen ist kein Vertrauen in das Geld
schlechthin, sondern allgemeines "Vertrauen" in die Stabilität und
Selbstreproduktionsfähigkeit der Fetischverhältnisse. Ich meine
Vertrauen in soziale Verhältnisse, in denen meine Individualität
aufgehoben ist.

Das zeigt sich
deutlich bei Wirtschaftskrisen, wo die Papiere plötzlich nichts mehr wert
sind. Nur daß beim Geld daß Vertrauen sich auf ein uneinklagbares Recht auf
äquivalente Leistung unabhängig von seiner sozialen Funktion bezieht. Das
Vertrauen das Du beschreibst, geht dagegen mehr in die Richtung, daß das
soziale Interesse, oder das Interesse an der Sozialität irgendwie quasi
automatisch miteinbezogen ist.

Das verstehe ich nicht ganz. Es klingt für mich so, als ob "Interesse an
Sozialität" ein Extraluxus ist. So wie es hier und heute läuft,
erscheint das auch so (obwohl es auch heute nicht so ist). "Interesse an
Sozialität" klingt mir so wie der Vorwurf "Immer nur Selbstentfaltung -
und was ist mit den Anderen?". Das habe ich erst gar nicht kapiert, es
ist das Denken des "vereinzelten Einzelnen" in der bürgerlichen
Gesellschaft. Dass sich Menschen sowie _immer_ nur vermittels der
gesellschaftlichen Möglichkeiten durch Leben bewegen und sich
reproduzieren, ist den isolierten Privatformen der bürgerlichen
Gesellschaft fast weggeblendet. Und so denkt die VWL auch immer: Das
Mensch ist nackig und alleine und überlegt sich: Lass uns mal
zusammenkommen und eine Gesellschaft machen. So ein Unfug!

Der Witz ist IMHO individuelles und allgemeines Interesse
zusammenzudenken. Wer dass aus ontologisiert fantasierten Gründen für
denkunmöglich erklärt, braucht nicht weiter über andere Gesellschaften
nachdenken.

Habe ich mich deutlich genug ausgedrückt? Ich
weis, daß ich quasi von Dir Unmögliches verlange, nämlich ein System
wertfreier Vermittlung aus dem Zustand allgemeiner Gültigkeit des
Wertgesetzes zu beschreiben. Andererseits denke ich, daß ein solches System
schon längst existieren müsste, wenn es denn einmal geschichtsmächtig werden
sollte (egal ob dieser Gedanke jetzt HISTOMAT ist, oder nicht, ich stehe
dazu). Ähnlich wie das Geld ja auch schon in vorkapitalistischen Zeiten eine
-allerdings marginale- Rolle gespielt hat.

Ja, Keimform Freie Software;-) Sehe ich so - wie bekannt.

Ciao,
Stefan

-- 
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