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Re: [ox] Die Entdeckung des Nordwestens



Hallo Benni und andere,

On Wed, Sep 25, 2002 at 11:32:20PM [PHONE NUMBER REMOVED], Jobst Quis wrote:
Es geht mir hier nicht um den allgemeinen Umgang mit Dualismen, sondern
darum festzustellen, dass Konkurrenz kein Gegensatz zur Kooperation ist,
und damit auch kein Dualismus, sondern höchstens ein Pseudo-Dualismus.

Jeder Dualismus ist immer nur ein Pseudo-Dualismus, das ist ja der
Grund, weswegen man dagegen angeht.

Nein, ich seh da einen großen Unterschied zwischen Dualismen, die auf
einem echten Gegensatz aufbauen (zB Ost - West) und Pseudo-Dualismen,
bei denen schon der Gegensatz fehlt. Auch an einem Ost-West-Dualismus
ist eine Menge zu kritisieren, zB liegt nur von Europa aus der "Westen"
im Westen und der "Osten" im Osten, von Japan oder Hawai siehts ganz
anders aus. Aber trotzdem wird niemand bestreiten, dass Ost und West
entgegengesetzte Richtungen sind.

Naja, ich glaube in mathematischen oder naturwissenschaftlichen
Zusammenhängen ist das nochmal was komplett anderes. Das kann man
nicht so ohen weiteres vergleichen. Also präziser: Wenn es um Menschen
geht, gibt es keine echten Dualismen.

Erstmal geht es mir um Gegensätze oder Polaritäten, und das sind nicht
immer schon gleich Dualismen. Die Himmelsrichtungen schienen mir als
gutes Beispiel für Polaritäten, weil sie unabhängig von Ideologien,
Zielen und Kulturen von fast allen Menschen als Orientierungssystem
anerkannt sind. Und wie die Himmelsrichtungen finde ich auch einige
Gegensätze im menschlich-gesellschaftlichen Bereich sehr nützlich
zur Orientierung, gerade um den ideologischen Verschleierungen und
Verwirrungen zu entgehen.

Gegensätze oder Polaritäten an sich sind nichts fieses, ich halte sie
für unverzichtbar zum Strukturieren von Weltmodellen. Problematisch
wirds erst in Verbindung mit "entweder/oder"-, "alles oder nichts"-
und "gut/böse" - Denken. Aber die Gegensätze müssen stimmen.

Nein, es ist schon vorher ein Problem. Schon die Einteilung der
Menschen in "Männer" und "Frauen", in "schwarz" oder "weiss" ist ein
Problem, nicht erst die damit verknüpfte Bewertung.

Die Schwierigkeit ist sich die allgegenwärtige Bewertung wegzudenken.
Ohne Bewertung wärs so ähnlich wie die Einteilung in blauäugige und
braunäugige oder in Menschen mit kurzen oder langen Ohrläppchen.
Ist feststellbar, manchmal ein liebens- oder hassenswertes Detail,
aber meistens spielts keine Rolle. Was die Mann/Frau Einteilung
neben der Bewertung problematisch macht, ist das digitale
"Entweder/Oder"-Denken, das es in dieser Gesellschaft unmöglich macht,
beides zu sein oder die Frage einfach offen zu lassen.

Und genauso ist
eben schon die Einteilung von Verhalten in "kooperativ" oder
"konkurrent" ein Problem, womit ich jetzt wieder nicht sagen will,
dass man das immer und überall vermeiden soll, nur dass man sich des
Problems bewusst sein muss.

Mit der Einschätzung von Verhalten als "solidarisch" oder "konkurrent"
hab ich nicht solche Probleme. Es gibt zwar auch was mittelmäßiges,
was von beidem ein bischen hat, aber es gibt kein Verhalten, das zugleich
extrem solidarisch und extrem konkurrent ist, wie es bei kooperativ und
konkurrent möglich ist.

Wenn es möglich ist zugleich in Richtung mehr Konkurrenz und mehr
Kooperation zu gehen, dann kann es kein Gegensatz sein.

Wie erklärst Du dann, dass es immer wieder in Diskussionen so gesehen
wird als Gegensatz? Gerade hier auf der Liste. Dadurch fing ja die
Diskussion an, das Hartmut eine "Konkurrenzgesellschaft" wollte und
Franz eine "Kooperationsgesellschaft".

Und beide haben ja eigentlich was sie wollen. Bis jetzt hab noch von
keiner/m gelesen, der die Position offen vertritt, dass das Gegensätze
wären. Es schimmert eher so als unbewußtes Axiom bei einigen
Formulierungen durch. Ich vermute mal, gerade nach deinen Reaktionen,
dass Solidarität und Autarkie hier so ein bischen tabuisiert sind, und
das deshalb von Kooperation die Rede ist, wenn eigentlich Solidarität
gemeint ist.

Wie früher schon gesagt, ist Gegensatz von Konkurrenz Solidarität
und der Gegensatz von Kooperation so etwas wie Autarkie. Zugleich
mehr Konkurrenz und mehr Solidarität zu fordern, geht höchstens in
Wahlprogrammen. Ebenso ist klar, dass es mehr Kooperation nur durch
Verminderung der Autarkie gibt und umgekehrt.

Bevor ich weiter mache, mal eine Rückfrage: Wenn ich Dich richtig
verstanden habe, willst Du mehr Solidarität und Kooperation, oder?

Mehr Solidarität? Auf jeden Fall, ein klares Ja. Mag sein, dass
irgendwann auch zuviel Solidarität zu Problemen führen könnte, doch
davon sind wir noch ganz weit weg.

Ich sag nur "uneingeschränkte Solidarität" oder gar "Nationale
Solidarität" und und und, ich denke es gibt genausoviele Beispiele von
falscher Solidarität wie von falscher Konkurrenz. Aber da haben wir
dann vielleicht schlicht eine andere Auffassung.

Jeder Begriff kann mißbraucht werden, das ist doch nichts neues.
Und je weniger die Menschen reale Erfahrung von Solidarität haben, um
so leichter läßt sich der Begriff verfälschen. Dann wird eben
Unterwerfung oder Einordnung Solidarität genannt. Wenn Politiker
dagegen von Konkurrenz oder Wettbewerb sprechen, ist meist auch
genau das gemeint, deshalb gibt es kaum "falsche Konkurrenz".

Mehr Kooperation? Ja und Nein. Mehr Kooperation in solidarischen
Beziehungen, weniger in konkurrierenden Verhältnissen. Mehr freie
Kooperation, weniger erzwungene Kooperation.

Womit Du jetzt selbst Deinen Gegensatz entwertest, oder?

Warum? Ein Gegensatz ist doch nur eine Skala, da muß doch das Optimum
nicht an einem Extrem liegen. Ich mein damit ja gerade keinen
bewertenden Dualismus, wo der eine Pol total gut und der andere
total schlecht ist.

Den Gegensatz "Autarkie" den Du zu Kooperation bildest, gibt es eben
nicht, auch nicht graduell.

Das ist doch absurd.  Wenn es die Möglichkeit "mehr Kooperation"
gibt, muß es doch auch die Möglichkeit "weniger Kooperation" geben,
unabhängig davon, ob du das jetzt für dich willst oder nicht.  Und
dafür hab ich noch keinen treffenderen Begriff als Autarkie
gefunden.  Natürlich gibt es keine absolute Autarkie und
wünschenswert ist sie auch für mich nicht.  Aber dasselbe gilt für
absolute Kooperation.  Sowohl der Nordpol als auch der Südpol sind
keine zum Leben geeigneten Orte, trotzdem kann es sinnvoll sein,
nord- oder südwärts zu gehen.  Die Polaritäten sind wichtig als
mögliche Richtungen, nicht als Ziele.


Genausowenig wie es "Solidarität" gibt,
ich halte das für ein Märchen,

Dann sind Freiheit, Gleichheit oder Frieden auch bloß Märchen. Und ich
leb dann wohl in einer Märchenwelt, wenn ich trotz der Dominanz von
Konkurrenz, Zwang, Ungleichheit und Unfrieden manchmal auch sowas wie
Solidarität, Freiheit usw erlebe.

was es gibt, ist wohlverstandener
Selbstentfaltungsegoismus, der die Selbstentfaltung des anderen zur
Vorraussetzung der eigenen Selbstentfaltung macht. Nur in diesem Sinn
macht Solidarität Sinn.

Für dich vielleicht. Es gibt viele verschiedene Motivationen solidarisch
zu sein, einige rationale, andere mehr gefühlsmässig, doch eine der
stärksten Motivationen ist das Erkennen oder Erspüren der Sinnlosigkeit
einer Welt ohne Solidarität.

Und das ist nicht nur ein rhetorischer Kniff,
sondern hat auch ganz praktische Bedeutung, weil nämlich dann
Politikerphrasen von Solidarität meist als das dastehen was sie sind:
leere Ideologie.

Wenn Menschen Solidarität praktisch erfahren haben, wissen sie
was das ist.

Ich sehe es so, dass es eben auch freie und erzwungene Konkurrenz
gibt, so wie es freie und erzwungene Kooperation gibt. Und das freie
Kooperation nur zusammen mit freier Konkurrenz funktioniert.


Und wie unterscheidest du freie Konkurrenz von erzwungener?
Wenn du deinen Konkurrenten unterlegen bist, ist das ziemlich
unfrei. Ist freie Konkurrenz dann, wenn du der Überlegene bist?
Oder die Freiheit des sich freuenden Dritten, wenn zwei sich
streiten ? Diese Freiheiten der Sieger sind zwar genau das, was
sich die Liberalen unter Freiheit vorstellen, aber wenn ich die
Theorie der freien Kooperation richtig verstanden habe, ist die
Freiheit dort eng mit Gleichheit verknüpft und steht so im
Gegensatz zu solcher exklusiven Freiheit.

Ein zentraler Punkt der freien Kooperation ist jedoch die
Verhandelbarkeit der Kooperationsbedingungen durch das Druckmittel
der Einschränkung oder Beendigung der Kooperation. Wenn du nun
aber die Möglichkeit zu weniger Kooperation leugnest, leugnest
du damit letztlich auch die Möglichkeit freier Kooperation, weil
dann das Druckmittel wegfällt.

Deutlich wird das beim Arbeitslosen-Dilemmna. Solange alle immer nur
mehr Arbeit wollen, kann den Tendenzen zu Billigstlohn, Zwangsarbeit
und Anbetung von Investoren nichts entgegengesetzt werden. Erst wenn
eine relevante Menge sagen würde, "20 Stunden fremdbestimmte Arbeit
in der Woche ist genug, mehr will ich nicht", würde die Macht der
"Arbeitgeber" ihre Grenzen finden.

Das relative Gleichgewicht bei der Kooperation im Gegensatz zum
Ungleichgewicht bei der Solidarität liegt wohl auch daran, dass
ich es eher individuell regeln kann. In der Konkurrenzgesellschaft
solidarische Inseln zu schaffen, aufrechtzuerhalten oder gar zu
vergrößern ist eine ziemlich mühsame Angelegenheit, so dass eine
solidarische Gesellschaft erstmal nur ein Fernziel sein kann.

Das das so mühsam ist liegt IMHO vor allem daran, dass dabei oft
ignoriert wird, dass es innerhalb solcher Inseln unterschiedliche
Interessen gibt und stattdessen Solidarität eingefordert wird. Da wird
dann immer viel "gewirt". Je öfter jemand "wir" sagt umso skeptischer
werde ich - insbesondere wenn überhaupt nicht klar ist, wer dazugehört
und wer nicht.

Da warst du wohl auf den falschen Inseln. Irgendwie tust du mir
leid, dass du anscheinend immer nur Forderungen nach Solidarität
kennengelernt hast und nie Solidarität selbst.

Dagegen habe ich schon einige Möglichkeiten, den Grad der Kooperation
zwischen mir und der Gesellschaft zu bestimmen. Ich kann (innerhalb
gewisser Grenzen) wählen, wo und wie ich wohne, was und wieviel ich
konsumiere und was und wieviel ich arbeite. Und das Ergebnis meiner
Entscheidungen ist im Vergleich zum gesellschaftlichen Durchschnitt
schon fast eine Minimal-Kooperation, also nicht mehr konsumieren
und nicht mehr arbeiten als nötig.

Womit der Grad Deiner Kooperation überhaupt nicht kleiner wird, Du
bewegst Dich nur aus bestimmten Kooperationen raus und in andere rein.
Man ist immer komplett drinnen mit dem ganzen Sein und das gilt auch
noch für den letzten Aussteiger in den kanadischen Wäldern.

Mir scheint, du mutierst hier zum Hohepriester der kooperativen
Konkurrenzgesellschaft. Weniger Kooperation gibts nicht, weniger
Konkurrenz gibts nicht, kein Entkommen, Widerstand ist zwecklos.
Bleibt uns da noch was anderes, als auf die Knie zu fallen und
zu beten?

Ich hatte es so halb scherzhaft gemeint, als ich schrieb:

Das fatale und ideologische am Koop-Konk Pseudo-Dualismus ist,
dass er suggeriert, wir hätten nur die Wahl zwischen mehr Kooperation
und mehr Konkurrenz. Das ist so, als könnten wir nur wählen zwischen
nordwärts und westwärts. Auf europäisches Klima bezogen heißt das,
wenn es zu kalt wird, ist westwärts die Lösung, wenn es zu feucht
wird, ist Norden die angesagte Richtung. Und dann wundern wir uns,
warum wir in immer kältere und nässere Gegenden kommen, obwohl wir
doch genau das Gegenteil wollten.

Nachdem du nun Solidarität und Autarkie nicht nur als wünschenswerte
Richtung ablehnst, sondern sogar leugnest, dass es mögliche
Richtungen sind, muss ich erkennen, dass diese Denkfalle doch
ernster und tragischer ist als angenommen.

Gruß, Jobst



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Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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