Message 05873 [Homepage] [Navigation]
Thread: oxdeT05338 Message: 11/159 L6 [In index]
[First in Thread] [Last in Thread] [Date Next] [Date Prev]
[Next in Thread] [Prev in Thread] [Next Thread] [Prev Thread]

Tausch und Entfremdung (was: Re: [ox] Re: Umsonstladen)



Hi Divi, UliF, Liste!

Last week (8 days ago) Divi Beineke wrote:
hinter diesen "alternativen Währungssystemen" steht doch immer der
Gedanke (oder die Angst):
soviel wie ich gebe, will ich aber auch wieder zurückhaben, und ich
will nicht mehr geben als andere
-> nicht, dass ich zu kurz komme!

Ganz genau: Auch das eigene Bedürfnis läuft im Tauschmodus nur
vermittelt über die Bedürfnisse anderer. Diese Facette hatte ich
bisher auch noch nicht gesehen :-) .

Tatsächlich ist dies aber ein (weiteres) Einfallstor für Entfremdung:
Ich bin nicht mehr unmittelbar mit je meinen Bedürfnissen beschäftigt
sondern immer nur mit deren Abbild im (Zerr)spiegel der Bedürfnisse
anderer.

Ich bin da auf jeden Fall selbst "anfällig" für.

Dagegen hilft nur eins: Konsequent bekämpfen. Ich versuche für mich
seit einiger Zeit das Tauschprinzip auch in meinem persönlichen
Verhalten zu bekämpfen. Und ich bin immer wieder angenehm überrascht,
wie ich mich den *Menschen* annähere, wenn diese Entfremdungsfolie
erstmal weg ist. Das klappt zwar besser, wenn das gegenseitig
funktioniert, aber oft hilft es auch klar zu machen: "Ich mache keinen
Deal.". Auch wenn eine solche Position oft erstmal überrascht, ist es
doch verblüffend zu sehen, wie plötzlich die konkreten Probleme wieder
in den Vordergrund rücken, die durch den Deal übergangen worden wären.

Dabei stirbt übrigens auch gleich ganz schmerzlos das formale
Gleichheitsprinzip. Nur weil ich ein bestimmtes Bedürfnis habe - oder
auch nicht -, muss es jemensch anders noch lange nicht haben - oder
hat es eben doch. Unter formalem Gleichheitsprinzip geht das nicht
richtig gut. Bei der Orientierung auf die Bedürfnisse ist das dagegen
die Regel.

Aber wenn ich so zu Hause im Alltag denke (was immer wieder
vorkommt): "wieviel habe ich jetzt schon gemacht, die anderen haben
aber viel weniger gemacht" - oder auch umgekehrt: "uff, die anderen
sind die ganze Zeit am wirbeln und ich mach gar nix oder nix für
die Allgemeinheit" - so rumzurechnen, das macht mich völlig krank.

Gut, dass du das wenigstens noch spürst :-) .

Viel besser läuft das, wenn ich nicht auf die anderen schiele,
sonder einfach das tue, wofür ich selbst verantwortlich bin,
Verantwortung übernommen habe.

Das ist genau der richtige Punkt. Wenn der Deal als strukturelles
Zwangssystem wegfällt - mit dem ich ja letztlich auch ganz direkt mich
selbst zwinge, da ich ja den Tausch einhalten muss - kommt die
Selbstverantwortung zum Vorschein: Was will *ich* eigentlich? Was ist
*mir* eigentlich wichtig? Hier kann selbstverantwortliches Handeln
eigentlich erst los gehen und nur dieses kann überhaupt
emanzipatorisches sein.

Meine "Vision einer besseren Welt" sieht auf keinen Fall so aus,
dass besser oder anders "gerechnet" wird, ich möchte lieber
_aufhören_ zu rechnen.

Genau. Und das gibt es auch schon oft - nur dass es nicht gerne als
solches gesehen wird. Diese Liste hier ist ein naheliegendes Beispiel:
Wenn hier auch nur annähernd 1:1 Mails "getauscht" würden, gäbe es die
Liste nicht.

Wenn jeder selbstverantwortlich ist und agiert ...
tja, wenn ...

Leider lernen Menschen das in unseren Gesellschaftsystemen nicht so
sonderlich gut. Sie sind es vielmehr gewohnt, Verantwortung an alle
möglichen Personen und Institutionen abzuschieben oder von ihnen
abgenommen zu bekommen. Es ist aber auch klar, dass Menschen mit so
wenig Verantwortungsbewusstsein Angst vor der Freiheit geradezu haben
*müssen*. Freiheit ohne Verantwortungsbewusstsein ist eine Bedrohung,
da sie dann nur noch Grenzenlosigkeit bedeuten kann. Und völlige
Grenzenlosigkeit treibt Menschen schnell in den Wahnsinn.

Trotzdem möchte ich dann lieber meine Energie dareinstecken, meine
Selbstverantwortlichkeit weiterzuentwickeln (und auch mal mutig
anderen auf die Füße zu treten, wenn ich meine, das wäre
angebracht), anstatt ein neues Währungssystem zu entwickeln, mit
dem mensch diese Klippe mehr oder weniger unelegant umschiffen
könnte.

Lass uns weiter dran basteln :-) .

Last week (8 days ago) Uli Frank wrote:
...das spricht mir aus der Seele, Divi!
Wie können wir in DER Richtung weiterkommen ?

Oben mal ein paar praktische Anregungen :-) .

Sicher nicht, indem wir
für der ganzen Gesellschaft diese neue Regel/ Logik verpassen, sondern
bei allen möglichen Gelegenheiten und in möglicht vielen Sub- Strukturen
mit dem Rechnen aufhören.

Ganz genau.

Als Strategie können wir nur den Weg
beschreiten, die Bezugsebene der GANZEN Gesellschaft zu verlassen.

Das scheint mir auch erstmal für das praktische Üben eines neuen
Lebens unumgänglich. Dennoch denke ich, dass Menschen dazu in der Lage
sind, auf solchen Prinzipien eine neue Gesellschaft zu errichten. Und
ich denke, dass es ihnen dann besser geht als heute - was ja
schließlich Zweck der ganzen Übung ist.

Dazu
gehört die Bereitschaft, ein gespaltenes Leben zu führen, also sich auf
die herrschende Logik partiell einzulassen, aber gleichzeitig andere
Orte und Netze und Bedingungen für eine bessere Logik zu suchen.

Ja.

Hinzufügen möchte ich: Und zu schaffen - in sich selbst und mit
anderen zusammen.

Dieser
Weg sieht nicht gerade revolutionär aus und klingt nicht nach
"Erlösung", aber befähigt zum Handeln hier und jetzt und öffnet die
Augen für die vielfältigen Ansätze, die es tatsächlich schon gibt.

In gewisser Weise ist es auch eine Erlösung, denn wenn bis hierher
alles einigermaßen richtig ist, dann muss das bessere Leben auch schon
heute spürbar sein. Und ich denke, nein: ich spüre, dass es das ist.

Wichtig auch: Er beinhaltet ein zumindest partielles Einlassen auf das
Hier und Heute. Ich glaube ohnehin, dass nur die die Welt verändern
können, die nicht gänzlich aus ihr aussteigen.

UNd nochmal zum "Rechnen": Meine eigenen Erfahrungen bestätigen voll und
ganz deine Bemerkungen. Solange wir zB in Tauschringen nicht vom
Äquivalenzdenken wegkommen, wird das alles ein müder Aufguss der Geld-
Logik bleiben und man kann sich dann nur fragen, warum man nicht gleich
das Original(Geld) benutzt und nur dessen Kapitalfunktion behindert
(Gesell usw).

Die Gesell'schen Modelle und Vergleichbare (Schwundgeld, Zinsverbot,
Tauschringe, etc.) sind alles nur Geldtricksereien, die in großem
Maßstab nicht funktionieren können. Hier hat die Robert Kurz (Krisis)
m.E. wirklich Gutes dazu geschrieben:

	http://www.giga.or.at/others/krisis/r-kurz_antisemitismus_krisis16-17_1995.html

Auch wenn der Titel etwas abschrecken mag, ist das auch heute noch
lesenswert.

Es gab übrigens auf der englischen Liste mal einen längeren und recht
interessanten Thread zu diesem Thema mit den Inkarnationen der
Local-Currency-Szene Keith Hart, Ernie Yacub und Michael Linton:

	http://www.oekonux.org/list-en/archive/threads.html#00260

Ich bin davon überzeugt, dass wir im bereits im besten aller
denkmöglichen tauschbasierten Systeme leben. Leider...


						Mit Freien Grüßen

						Stefan

________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


[English translation]
Thread: oxdeT05338 Message: 11/159 L6 [In index]
Message 05873 [Homepage] [Navigation]