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[ox] Re: Moral und anderer Schrott



Hallo Stefan, Hans-Gert und Mitleser,

On Tue, Aug 28, 2001 at 10:46:10AM [PHONE NUMBER REMOVED], Stefan Meretz wrote:
Mein Ausschlag kommt von der Verkehrung von "Ursache und Wirkung"
(unscharf formuliert): In aller Regel wird Moral usw. als Ursache von
(gewünschtem) Verhalten angesehen und betrieben. Das wird dann umgekehrt
und messerscharf geschlossen: Weil die Leute so krass durch die Welt
rennen, muss was faul sein an Moral, Werten usw. Nächster Schluss: Die
Moral, Werte etc. wurden zerstört, bla, bla.

Hm. Das ist ein rein konservativer Moralbegriff. Das das nicht so doll ist,
da sind wir uns sicher einig. Nur ist Moral eben mehr als ein solcher
verkürzter Begriff.

Das, was im herrschenden
Wertekanon unsinnig, aber aus menschlicher, "übergeordneter" Sicht
vernünftig ist?

Es gibt diesen externen, übergeordneten Standort einfach nicht. Niemand
kann für andere definieren, was "vernünftig" ist, das können nur die
Menschen selbst tun. 

Ja, aber die Menschen selbst tun das ja immer moralisch in dem Sinn, dass
sie normative "Gesetze" aufstellen. Das macht doch jeder und man kann auch
garnicht anders als sich sein Handeln vor sich selbst zu rechtfertigen.
Moral - richtig verstanden - hat immer etwas mit Menschen zu tun.

Wer aber so argumentiert, der will (bewußt oder
unbewußt) nur der blinden, abstrakten Rationalität der totalen
Verwertungslogik Geltung verschaffen.

Hae? Wieso das? Im uebrigen gibt es nichts, was so neutral gegenuer
jeglicher Moral ist, wie das die "blinde, abstrakte Rationalität der totalen
Verwertungslogik". Das ist doch gerade das perverse daran, dass eine
amoralische Logik, die sich nicht mehr rechtfertigen muss, die sich selbst
rechtfertigt ihr unmenschliches Werk treibt. Das ist auch der Punkt, wo ich
die Alienismus-Metapher stark finde, weil sie nämlich genau dieses
_unmenschliche_ betont. Das ist eine Stärke, die der ganzen hochanalytischen
Wertkritik abgeht, die das zwar als Voraussetzung hat, aber nicht wirklich
in der Theorie wiederspiegelt.

Ich bin kein Philosoph, gewinne aber immer mehr den
Eindruck, dass Moral etwas ist, was eine Welt zusammenhält, die
auseinanderfliegen würde, wenn sie sich nur an den jeweils aktuellen
Werten orientieren würde.

Das entspricht genau der von mir kritisierten Sicht. Das ist aber nur
der Schein, der genau durch den o.g. Diskurs mit (re-)produziert wird.
Moral etc. hält gar nix zusammen, sie dient eher noch als
Rechtfertigungskonstrukt zur Perpetuierung von Herrschaft.

Das stimmt nur für einen verkürzten konservativen Moralbegriff. Normative
Theorie ist immer moralisch und muss nicht zwangsläufig Herrschaft festigen.

In meiner Sicht machen die Begriffe nur vom Kopf auf die Füsse gestellt
halbwegs Sinn: Moral, Werte etc. sind _Ausdruck_, bewertetes Result von
Verhalten (und nicht "Ursache"). 

Das Sein bestimmt das Bewußtsein, Basis und Überbau? Das meinst Du wohl,
oder?

Auch an anderer Stelle hab ich ja schonmal geschrieben, dass diese Form von
Matrialismus IMHO zu platt ist. Moral, Kultur, etc. sind Ursache _und_
Wirkung von materieller Gesellschaftsformation.

Moral, die Verhalten beeinflussen soll, ist _immer_ von aussen. Sie
gehört über Bord geworfen. Das, was von innen kommt, dein Denken über
Welt, ist deine individuelle Art der Weltbegegnung. 

Dieser Gegensatz von "Innen" und "Aussen" stimmt so nicht. In mir sind immer
auch die kulturell überlieferten Vorstellungen eben auch die moralischen.
Ich kann mich davon nicht völlig loslösen. Ich kann auch nicht quasi als
geniales Individuum völlig losgelöst in mir über Welt nachdenken.

Und immer, wenn sich
Linke bürgerlicher Formen bedienen, werden sie langfristig scheitern.
Davon seid "ihr Ossis" etwas geschädigt, gell?

Das versteh ich nicht so ganz. Bürgerlich ist doch eher die Vorstellung eben
eines solchen individualistischen Genies.

Nimm nur als Beispiel die Oekonux-Liste: Hätten wir versucht, vorher
eine Art "Listen-Moral" festzulegen, wäre das Projekt sofort
gescheitert. Dennoch - ich nenne es sonst nicht so, aber hier mal zur
Illustration - hat sich eine Art "Moral" etc. herausgebildet. Sie ist
Resultat und nicht Ursache der Listenpraxis. Inwieweit diese "Moral" nun
je individuelles Verhalten beeinflusst, ist so vielfältig wie die Leute
sind: Ursache für ein bestimmtes Verhalten ist sie garantiert nicht -
Menschen sind eben keine Maschinen.

Das was Du aufmachst ist aber genau eine moralische Forderung. Nämlich die,
dass Regeln in der Praxis zwischen den Betroffenen ausgehandelt gehören.

Du greifst eine spezifische Moral heraus, nämlich eine von aussen
aufgezwungene, konservative, individualistische und wendest Dich dann mit
den völlig richtigen Argumenten gegen eine solche Moral unrichtigerweise
gegen jegliche Moral.

Gruesse, Benni
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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