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Re: [ox] Knappheit von Zeit



Hallo Benni,

is zwar schon eine Woche her, aber trotzdem noch einmal zum Thema
Selbstentfaltung und Zeit:

HGG:
Das ist in der Tat richtig beobachtet. Ich knapse mir die Zeit,
auf der Liste mal was zu schreiben, definitiv ab (z.B. muss ich
auch noch irgendwann die SymbolicData-Webseiten überarbeiten, die
Ausschreibungen für unser Mathelager im Sommer entwerfen, kopieren
und rausschicken, vorher noch mit unserem Partner über den Preis
feilschen, meine Vorlesungen weiter vorbereiten, die in zwei
Wochen beginnen etc.). Und wenn ich hier rund um mich herum
schaue, dann bin ich bei weitem nicht der Einzige mit so einem
"Zeitregime".
BB:
Sicher nicht. Ich hab mich nur dagegen gewannt, dass Du Leute mit
einer anderen Auffassung mal so eben im Nebensatz das Menschsein
abgesprochen hast. Nimmst Du das jetzt also zurück? ;-)

Na klar. Ich sage ja auch nicht, dass ich mit meinem straffen und zum
großen Teil von außen geprägten Zeitregime glücklich bin.  Aber "die
Umstände sind halt so..." Oder auf unseren Kontext gemünzt: wir werden
die Regeln nicht ändern ohne die Umstände zu ändern und umgekehrt.
Das macht die Sache so ungemein kompliziert.

Allerdings wende ich ein, dass dieses dein Prinzip (in absehbarer
Zeit) für größere Teile der Menschheit wohl weder gelten wird noch
gelten kann.  Neben den "Umständen" ist da einfach zu viel auf der
ToDo-Liste, abgesehen von den ganz profanen Alltagsfragen, auf die ich
gleich noch komme.

Insofern haben wir da sehr unterschiedliche "Reality-checks". Wenn
unsere Überlegungen hinten heraus trotzdem konvergieren - um so
interessanter. 

Das klingt für mich nach protestantischem Arbeitsethos.

Oh, da wäre der Begriff wohl etwas näher zu spezifizieren.  Bei all
den o.g. Dingen bin ich ja durchaus intrinsisch motiviert,
d.h. "entfalte mich selbst".

Deswegen schrieb ich ja "Arbeitsethos" und nicht "Arbeitszwang".

Hmm. Ich glaube kaum, dass der ethische Aspekt dieses Themas, der für
mich einen normativen Beigeschmack hat, der Kern ist, im Gegenteil.
Es ist nicht eine abstrakte ethische Dimension, sondern die konkreten,
subjektiven *Erwartungshaltungen* anderer, sich nach denselben
Prinzipien selbstentfaltender Wesen, die einen solchen "Overload"
erzeugen.  Es ist nicht *nur* die abstrakte Wertverwertung, die sich
dabei Bahn bricht. Ein entscheidender Punkt, der mir auch in unserer
ganzen Diskussion über FK deutlich zu kurz kommt. Oder, um es in den
Worten meiner Frau zu sagen: "Wo kommen bei eurer ganzen Diskussion
Haushalt und Kinder vor?"  Hat Christoph Spehr auf eine entsprechende
Frage letzte Woche in Berlin wenigstens negativ gewendet thematisiert:
"Ich möchte die Kinder auch mal _nicht_ haben dürfen".  Wohl dem, der
einen Uli hat, der sie dann mit Kußhand nimmt. ...

Die Fessel sehe ich in der gedanklichen Beschränkung auf bzw. die
Hypertrophierung des Ansatzes "Selbstentfaltung", die hier auf der
Liste gelegentlich gepflegt wird und z.B. von Petra schon mehrfach
explizit aufgezeigt wurde. Brauche ich hier nicht zu wiederholen.
Wenn sie die Fragen, die ich oben aufgeworfen habe, ausblendet.

Ja, mein Ansatz ist da zur Zeit, das Selbstentfaltung und Freie
Kooperation sich ergänzen müssen. Siehe den Schluss von
http://co-forum.de/index.php4?Notizen%20zur%20Selbstentfaltung (der
ist neu für die, die nicht in Kaiserslautern waren).

Greift aber meine oben angeführte Kritik auch nicht auf. Ich warne
generell und immer wieder davor, Spehrs FK überzustrapazieren (und CS
betont das eigentlich auch immer wieder).  Es ist eine spezielle
*Form* der Kooperation (und vielleicht auch nur der *Kommunikation*),
die Inhalte oder gar Strukturen ausblendet.  So ein
analytisch-reduktiver Ansatz hat seine Vor- und Nachteile.  Jedenfalls
muss er irgendwo in eine Synthese einfließen, die wenigstens den
doppelten Herausforderungscharakter der Thematik im Sinne meiner
vierten Emanzipationsthese (für newbies: siehe
http://www.hg-graebe.de/Texte/e-thesen.html) im den Blick bekommt.

-- 
Mit freundlichen Gruessen, Hans-Gert Graebe
________________________________
Web-Site: http://www.oekonux.de/
Organisation: projekt oekonux.de


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