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Re: [ox] Re: Moral und anderer Schrott



Hi Hans-Gert,

Hans-Gert Graebe schrieb:
da scheine ich ja wirklich einen Nerv bei Dir getroffen zu haben.

Ja;-)

Was mich an Deiner Argumentation stört, ist die Tatsache, dass Du
Moral wohl nur als dem Menschen äußerliche Kategorie betrachtest.

Jein. Ich habe ja versucht darzustellen, dass ich den Moralbegegriff
bestensfalls deskriptiv verwenden würde, also für etwas, was "da" ist.
Was Robert z.B. tradiertes kulturelles Gedächtnis genannt hat. Ich habe
das verkürzt "Resultate" von Verhalten genannt. Der Nervtreffer beginnt
bei mir bei der normativen Wendung, wenn es nicht mehr nur so-und-so
ist, sondern sein _soll_.

Insofern ist Moral deskriptiv nicht dem Menschen äußerlich, normativ als
Zumutung aber schon.

So gefasst ist Moral etc. ein personalisierter, abstrakter Diskurs,
der Individuen Zuständigkeiten zuschiebt, die sie überhaupt nicht
haben (können). Gesellschaftliche Probleme werden individualisiert,
die eigentlichen Probleme werden ausgeblendet (siehe etwa die Frage
der "Gewalt", anderer Thread).

Gibt es nicht auch so was wie "innere Moral", die sich genau gegen
dieses "Zuschieben von Zuständigkeiten", das heißt, dem gültigen
Wertesystem verweigert? Ob aus einem "höheren Prinzip" oder aus was
für Gründen auch immer, sei dahingestellt.

Zur Unterscheidung von individuell und überindividuell habe ich
anderenmails was geschrieben. Individuell würde ich den Begriff der
"Gründe" vorziehen. Menschliches Handeln ist begründet. Dazu kann eine
Übernahme von moralischen Zumutungen oder eine Abweisung dessen gehören.
Ich würde hier nach dem "warum" fragen. Damit käme man weiter, der
verselbstständigte Charakter von "innerer Moral" (innerem Zwang) wird so
potenziell transparent.

... Aus philosophischer Sicht
wäre für mich dann aber doch schon die Frage, ob solche individuellen
Verweigerungsakte oder Teile davon eine gemeinsame Wurzel haben und
wie diese ggf. begrifflich zu fassen ist. Das ist auch der Kern meiner
Frage

Mein Vorschlag (weniger philosophisch als psychologisch): mit dem
Begriff der (Handlungs-)Gründe. Den Moralbegriff brauchst du da
letztlich nicht mehr.

Moral etc. hält gar nix zusammen, sie dient eher noch als
Rechtfertigungskonstrukt zur Perpetuierung von Herrschaft.

Ja, diese Ambivalenz sehe ich durchaus.  Die trägt GPL-Software aber
auch in sich. Mir liegt eher an der Frage, welche subtile Sprengkraft
solche Entwicklungen trotz des scheinbaren 'business as usual'
entwickeln können und wie entsprechende Dynamiken verlaufen. Da sind
wir mitten in der 'Keimform'-Debatte, wo mir der Holzkampsche
Fünfschritt als Phänomenologie einleuchtet, aber der damit verbundene
Wertewandel stark unterbelichtet erscheint.

Wenn die der "Wertewandel" interessiert, na gut, untersuch ihn. Aber
wende ihn nicht normativ, mach nicht an den "Werten" rum. Es bringt
letztlich sowieso nichts.

Alte Werte aufgegeben, neue (allgemein anerkannte) noch nicht da,
dazwischen liegt aber doch kein Vakuum, oder? Wie funktioniert ein
solcher Wechsel des Koordinatensystems gesellschaftlich? Gibt es eine
Ebene, die hinter den Werten steht und auf die man sich mental
zurückziehen kann, wenigstens zeitweise? Carl Amery meinte in einer
Diskussion neulich hier in Leipzig sogar, dass die Kirchen dafür einen
ähnlichen Resonanzboden abgeben könnten wie in der DDR vor 89. Ja,
dass dies ihre einzige wirkliche Chance sei.

Resonanzboden wofür? Die Leute der gehabten DDR sind doch nicht in die
Kirchen gerannt, weil sie einen "Wertewandel" wollten (jetzt, wo ich das
schreibe, fällt mir zynisch ein, das sie den wörtlich vielleicht doch
wollten: in Form der DM - das aber erst nach der Wende). Sie hatten
woanders keine Artikulations- und Handlungsmöglichkeiten, das war der
wichtigste Grund. Und sobald der Grund weg wahr, blieben sie auch wieder
fern. Aber jetzt läufts ins Off...

Vielleicht. Die Frage nach Kohärenz in dieser "individuellen Art der
Weltbegegnung" als Grundlage für Gesellschaftlichkeit, siehe
anderenthreads, blendest Du damit aber vollkommen aus.

Nein, ich denke nur anders drüber nach. Den Weg über Werte und Moral und
so finde ich inadäquat.

Nimm nur als Beispiel die Oekonux-Liste: Hätten wir versucht, vorher
eine Art "Listen-Moral" festzulegen, wäre das Projekt sofort
gescheitert. Dennoch - ich nenne es sonst nicht so, aber hier mal zur
Illustration - hat sich eine Art "Moral" etc. herausgebildet. Sie ist
Resultat und nicht Ursache der Listenpraxis.

Ich glaube kaum, dass Du hier Resultat und Ursache so genau
auseinanderhalten kannst.

Zu dem Argument hatte ich schon vormails geschrieben: Ich denke doch.

Ciao,
Stefan

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